Interview mit Frau Ursula Lenz, Pressereferentin der BAGSO


 

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Die Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung hat in den letzten Monaten ausgewählte Experten zu dem Thema Sport und Alter befragt. Die Antworten auf unsere Fragen möchten wir Ihnen über die nächsten Wochen hinweg gerne vorstellen. Beginnend mit dem Interview mit Frau Ursula Lenz, der Pressereferentin der BAGSO (Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen).

Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung: Wenn es um das Thema Sport und Alter geht, wo ist Ihrer Meinung nach noch Forschungsbedarf?

Frau Ursula Lenz, Pressereferentin BAGSO: Die Wirkungen von Bewegung und Sport sind hinreichend erforscht, die Ergebnisse von Studien, die die positive Wirkung belegen, sind jedoch noch nicht breit genug gestreut. Sie müssten insbesondere die Gruppe derjenigen älteren Menschen erreichen, die sich viel zu wenig bewegen, die wenige soziale Kontakte haben und insgesamt eher isoliert leben. Aussagen über die positiven Wirkungen von Bewegung und Sport, die ja weit über das rein körperliche hinausgehen – müssten im Rahmen einer breit angelegten Kampagne sehr plakativ in die Öffentlichkeit gebracht werden.

Hilfreich wäre es, wenn sich die Wissenschaft der Frage widmet: „Wie können wir ältere Menschen, die sich zu wenig bewegen und keinen Sportmachen, dazu bringen, es zu tun? „( Fest steht, dass der Begriff „Sport“ bei vielen älteren Menschen ausgesprochen negative Assoziationen hervorruft. Erinnerungen an den Schulsport, an Versagen etc. werden wach. ) Das scheint uns eine zentrale Fragestellung zu sein, auf die es bisher keine wirklich überzeugenden Antworten gibt. Von daher gibt es auch keine durchgreifenden Konzepte und Aktionen.

Neben den individuellen Faktoren, die bei der Motivation eine Rolle spielen, müssen auch die äußeren Rahmenbedingungen unter die Lupe genommen werden: Entfernung der Sportstätten vom Wohnort („Wie komme ich dorthin, auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sind die Wege sicher, wie teuer ist ein Kurs und gibt es Vergünstigungen für Menschen mit einer geringen Rente? Was soll ich anziehen? Ist das Wasser für eine Wassergymnastik und fürs Schwimmen warm (Rheuma, Arthrose, Anfälligkeit für Blasenentzündungen) genug? usw.)

Sinnvoll wäre es, Trainingsprogramme zu erstellen, die sich gezielt an diejenigen wenden, die seit ewigen Zeiten keinen Sport mehr gemacht haben sowie für bestimmte Gruppen, z.B. für ältere Menschen, die an einer Depression leiden, die Altersdiabetes haben etc. Auch eine gezielte Ansprache z.B. von Menschen, die seit kurzem im Ruhestand sind, wäre sinnvoll (Sport als die Woche strukturierende Aktivität, Kompensation fehlender sozialer Kontakte)…

Die soziale Komponente des Sportes sollte noch stärker herausgestellt werden. Sehr gute Erfahrungen habe ich vor Jahren mit sogenannten Kontaktpersonen in Seniorensportgruppen gemacht. In jeder Gruppe waren zwei Mitglieder für das Führen der Anwesenheitsliste zuständig, die zum einen statistischen Zwecken diente, zum anderen – viel wichtiger – den Kontaktpersonen aufzeigte, wer fehlte. Spätestens nach dem 2. Termin, zu dem jemand nicht erschien, rief die Kontaktperson an und erkundigte sich nach dem Befinden, zu 100% mit einer sehr positiven Resonanz. („Es ist ewig her, dass mich jemand vermisst hat, es hat gutgetan, dass sich jemand nach mir erkundigt hat“…).

Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung: Die WHO empfiehlt mindestens an 5 Tagen in der Woche sich 30 Minuten körperlich zu bewegen. Nur 15 % der über 65-Jährigen erfüllen diese Empfehlung. Und 50% machen nach einer Umfrage des RKI gar keinen Sport. Was sind die Hindernisse?

Frau Ursula Lenz, Pressereferentin BAGSO:

  1. Oft fehlt das Wissen um seniorenspezifischen Angebote, mit jungen Menschen möchten insbesondere völlig untrainierte Ältere keinen Sport machen.
  2. Es fehlen nicht selten Transportmöglichkeiten, die Sporthalle etc. ist nur schwer zu erreichen, mehrfaches Umsteigen, weiter Weg von der Straßenbahn zur Halle. Ganz besonders schwierig ist die Situation im ländlichen Bereich.
  3. Einschränkungen der Beweglichkeit und damit verbundene Ängste, nach dem Motto: „Lieber nicht bewegen als eine falsche Bewegung machen, die dann wieder Schmerzen verursacht.“
  4. Psychische Faktoren (- wie Sturzangst, Depression, Resignation, Abschottung, einseitig negatives und defizitäres Altersbild. (- oft selbst verinnerlicht: „Es ist zu spät, da kann man sowieso nichts mehr machen“.)
  5. fehlende passende und auch finanzierbare Sportkleidung und –schuhe
  6. Die Kurse müssen auch für Menschen mit einer eher kleinen Rente finanzierbar, ggf. ermäßigt sein.
  7. und natürlich – der „innere Schweinehund“. Der innere Schweinehund lässt sich meiner Erfahrung nach am besten mit Unterstützung einer Gruppe überwinden.

Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung: Was wäre für Sie der größte Hebel, um anzusetzen?

Frau Ursula Lenz, Pressereferentin BAGSO:

  1. Öffentliche Medien stärker einbeziehen, um Zielgruppen zu erreichen und positive bzw. realistische Altersbilder zu verankern: vorhandene Lernfähigkeit im Alter; man kann in jedem Alter Sport oder Bewegung für sich entdecken, auch wenn man vorher nichts damit „am Hut“ hatte)
  2. Für Bewegungsangebote werben (Beispiel: Antiraucherkampagne bei Jugendlichen im amerikanischen Fernsehen)
  3. Optimal wäre eine Kampagne mehrerer Organisationen, um die Streubreite zu vergrößern

Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung: Gibt es Ihrer Erfahrung nach geschlechtsspezifische Unterschiede im Sport-Verhalten Älterer?

Frau Ursula Lenz, Pressereferentin BAGSO:

Frauen gehen häufig verantwortungsvoller mit ihrer Gesundheit um und beginnen auch später in ihrem Leben noch mit Sport; Männer sind eher im Alter sportlich aktiv, wenn sie schon früher Sport betrieben haben.

Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich an Aktionen, Projekten, Forschung, etc. zum Thema ‚Sport und Alter’ wünschen?

Frau Ursula Lenz, Pressereferentin BAGSO:

Das bereits Erforschte umsetzen: Wie man ältere Menschen erreicht, die sich stark abgeschottet haben; Organisation von Transportmöglichkeiten zu Sportangeboten; Bewegungsangebote viel stärker in die Pflegeheime bringen (Fit bis 100), das Pflegepersonal zum Thema Bewegung und Aktivität entsprechend intensiver schulen und motivieren, freiwillig Engagierte „einsetzen“, z.B., um die Heimbewohner von ihrem Zimmer in den Sportraum zu bringen.