Das Gehirn verstehen


 

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Sport und Demenz: tiefe Einblicke in ein sensibles Thema

Man kann sich wunderbar vorstellen, wie Udo Lattek, dieser große Freund des offenen Wortes, geklungen hat, als er nach intensiven Jahren, in denen er bei Bayern München und dem FC Barcelona junge Fußballspieler trainierte, seinen früheren Tenniskumpels in Köln begegnete. „Das sind ja alles alte Männer“, habe der bis heute erfolgreichste deutsche Vereinstrainer entsetzt festgestellt, erzählte Hildegard Lattek, die Ehefrau des 2015 verstorbenen Fußballlehrers, auf dem 13. Kölner Abend der Sportwissenschaft (KAdS). „Du bist doch genauso alt“, habe sie erwidert, und am Ende hat der knorrige Lattek dann doch wieder Tennis gespielt. Aber vielleicht nicht regelmäßig genug, wie der Verlauf des Thementages „Sport und Demenz“ nahelegte, dessen Höhepunkt die von Wolf-Dieter Poschmann moderierte Podiumsdiskussion war.

Hildegard Lattek berichtete auf der Bühne im fast komplett gefüllten Hörsaal 1 gemeinsam mit ihrer Tochter Sabine vom Alltag mit dem im Alter an Demenz erkrankten Udo Lattek. Der ehemalige Bundesminister Franz Müntefering war in seiner Rolle als Vorsitzender der  Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) gekommen, und aus Sicht der medizinischen Praxis näherte sich Univ.-Prof. Dr. Frank Jessen von der Kölner Uniklinik dem Thema. Vom Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie war außerdem Dr. Tim Fleiner dabei, und Professor Dr. Stefan Schneider vom Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft präsentierte erstmals konkrete Ergebnisse der DENKSPORT-Studie: „Regelmäßiges körperliches Training kann die Progredienz einer leichten kognitiven Beeinträchtigung aufhalten“, konnte er ein erstes Ergebnis verkünden. Doch einmal die Woche Tennis reicht wohl nicht.

Ausschschnitte aus der Podiumsdiskussion

75.000 Euro von der Becker-Stiftung

Noch sind die Daten der groß angelegten Studie mit Menschen, die an einer beginnenden kognitiven Störung leiden, nicht vollständig ausgewertet, aber es zeichnet sich ab, dass mindestens zwei Sporttermine pro Woche die Progression einer leichten kognitiven Beeinträchtigung, häufig die Vorstufe einer Demenz, nicht nur verlangsamen, sondern sogar Verbesserungen der geistigen Leistungsfähigkeit bewirken. „Entscheidend ist die Trainingshäufigkeit“, sagte Schneider. In den kommenden Monaten werden die Daten der Kohorten von Partneruniversitäten aus Dublin und Nijmegen hinzukommen. Außerdem kann durch eine 75.000-Euro-Spende der Becker-Stiftung, eine neue Versuchsgruppe gestartet werden.

Die Podiumsdiskussion ging dann aber weit über die Frage der Wirkung von sportlicher Aktivität auf das Entstehen demenzieller Erkrankungen hinaus. Müntefering formulierte ganz grundsätzliche Überlegungen: Wie sollten die 15 bis 20 guten Jahre nach der Verrentung eigentlich gestaltet sein, damit die Menschen nicht verkümmern? Was müssen wir tun, damit wir gut alt werden können? „Das ganze Jahr Urlaub ist kein Urlaub mehr“, sagte der ehemalige Vizekanzler. „Wir brauchen eine Debatte über das Älterwerden und wie man damit umgeht. Dazu gehört, dass wir wissen: Bewegung und Begegnung sind zwei ganz zentrale Dinge“. Beim gemeinsamen Sporttreiben entstehe daher ein „doppelter Gewinn“.

Immer wieder ging es aber auch um Vorbehalte von Menschen ohne Sportlerbiographie, um  Ängste vor Wettkampfsituationen. Oder einfach um die Furcht vor der direkten Konfrontation mit der abnehmenden Leistungsfähigkeit, die wohl auch Lattek beim Blick auf seine Tenniskumpels erschreckte.  Solche Vorbehalte erklären, warum bei 85 Prozent der älteren Menschen die Vorstellung von aktivem Sport negative Assoziationen weckt. Vor diesem Hintergrund warnte Frank Jessen vor einer Spaltung der Gesellschaft in ein gesundes, sportaffines Segment und jene, deren  Lebensstil die Entstehung von Krankheiten begünstige. Und Tim Fleiner berichtete aus dem Alltag mit schwer erkrankten Demenzpatienten, die nicht nur kognitiv vom Sport profitieren können. „Durch ein gezieltes Trainingsprogramm nimmt die Ruhelosigkeit, von der viele Betroffene getrieben werden, ab“, sagte der Wissenschaftler und empfahl 150 Minuten Sport pro Woche.

Am berührendsten blieben aber die Erinnerungen der Familie Lattek, „wenn der Mensch auf einmal vor einem steht und so ganz anders wird, dann wird es schwierig“, erzählte Tochter Sabine. Solche Alltagsschilderungen können beängstigend sein, insofern war es gut, dass Stefan Schneider den Thementag mit einer sehr positiven Botschaft eröffnet hatte: „Die Demenzerkrankungen nehmen ab“, hält er fest, wobei er zugleich erläuterte, wie diese These zu verstehen ist: Die absolute Zahl der Betroffenen steige natürlich schon, weil es immer mehr alte Menschen gibt. Von den immer älter Werdenden entwickeln aber immer weniger eine Demenz. Einer der Gründe könnte ein grundlegend verändertes Gesundheitsverhalten sein, bei dem Bewegung eine immer bedeutendere Rolle spielt.

 

Workshops und Kurzfilme

Mit diesem kleinen Bonmot hatte Prof. Schneider den Thementag eröffnet, an dem auch ein Impulsvortrag von Dr. Maike Tscheuschler vom Zentrum für Gedächtnisstörungen der Universitätskliniken Köln und diverse Workshops besucht werden konnten. Tscheuschler gab einen Überblick über die wichtigsten Studien zu den Wirkungen von Sport oder Bewegung auf die Entwicklung demenzieller Erkrankungen. Anschließend wurden bewegende Kurzfilme von Betroffenen gezeigt, die in Zusammenarbeit mit dem Projektpartner Story-Atelier gGmbH entstanden sind, bevor VertreterInnen aus Sportvereinen, Verbänden, Reha-Kliniken, Beratungsstellen aber auch Familienangehörige und ÜbungsleiterInnen in Workshops über Hürden, Probleme und Lösungsansätze in ihrem Arbeitsalltag diskutierten.

Es war ein Tag, an dem der Transfer von Wissen in die Gesellschaft beispielhaft umgesetzt wurde. „Wir wollen Wissen nicht nur Studierenden zugänglich machen, sondern einer breiten Öffentlichkeit“, erklärte Schneider.

Autor: Daniel Theweleit / Deutsche Sporthochschule Köln