Sport im Alter: Gibt es Grenzen?


 

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Mit steigendem Alter sinkt leider die Kondition. Das ist unerfreulich, aber mit Sport lässt sich wirksam gegensteuern. Doch wo liegen die Leistungsgrenzen in höherem Alter?

Bei Charles Eugster zielen solche Fragen ins Leere, Begriffe wie Leistungslimit und Altersschwäche gehören nicht zu seinem Vokabular. Der gebürtige Brite, der seit Jahrzehnten in der Schweiz zu Hause ist und früher als Zahnarzt sein Geld verdient hat, ist der vermutlich älteste Bodybuilder der Welt. Sein Oberkörper besitzt die jugendlich-attraktive V-Form: breites Kreuz, schmale Taille. Eugster ist 91 Jahre alt, und wenn er bei Fitness-Wettkämpfen antritt, dann stiehlt er jungen Muskelprotzen die Show und häuft Preise an wie andere Leute Hüftspeck. Eugster hat zwei Weltmeistertitel geholt, in der Altersklasse 80+ ist er nicht zu toppen – ein echtes Unikum und der ultimative Beweis, dass auch in hohem Alter alles möglich ist.

Die moderne Wissenschaft bestätigt dies. „Der Mensch ist ein biologisches System. Trainingsreize lösen Anpassungen im Organismus aus, unabhängig vom Alter“, sagt Professor Dieter Leyk, der an der Deutschen Sporthochschule Köln die Forschungsgruppe Leistungsepidemiologie leitet. „Wie stark jedoch der Körper auf den Trainingsreiz reagiert, ist abhängig von der Lebensphase.“ Kinder beispielsweise würden bei einem Krafttraining keine Muskelberge aufbauen. In der Pubertät führe der Testosteronschub bei Jungen – bei gleichem Trainingsreiz – zu einer erhöhten Ansprechbarkeit der Muskeln und zu größeren Trainingseffekten. In fortgeschrittenem Alter wiederum verringere der sinkende Hormonpegel die Wirksamkeit der Übungen.


Was also kann ich in höherem Alter erreichen? Wie viel Kraft steckt in mir? Welche Ausdauer schaffe ich noch? Auf jeden Fall viel mehr, als man denkt. Studien aus den 90er-Jahren belegen eindrucksvoll, dass Senioren durch ein gezieltes Krafttraining das Leistungsniveau eines untrainierten 20- bis 30-Jährigen erreichen. Ähnliches gilt auch für die Ausdauer. Leyk hat zu diesem Thema mit der so genannten PACE-Studie (Performance Age Competition Exercise) wertvolle Erkenntnisse geliefert. Seine Studiengruppe wertete rund 900.000 Laufzeiten von Marathonläufern zwischen 20 und 79 Jahren aus. Ein wichtiges Ergebnis: Ein Viertel der 65- bis 69-Jährigen Langläufer war schneller als die Hälfte der 20- bis 54-jährigen Konkurrenten. Jeder vierte ältere Marathonläufer hatte sogar erst fünf Jahre zuvor mit dem Lauftraining begonnen. Leyk kam zu diesem Schluss: „Leistungseinbußen in mittlerem und höheren Lebensalter sind primär auf eine inaktive Lebensweise, nicht aber auf biologische Alterung zurückzuführen.“

Welche sportlichen Leistungen selbst Hochbetagte erzielen können, zeigen regelmäßig die amerikanischen Senior Olympics. Zu den Olympischen Sommerspielen im Juni 2011 kamen 15.000 Athleten – Mindestalter: 50 Jahre – nach Houston, Texas. In sechs verschiedenen Altersklassen und 18 Disziplinen – darunter Badminton, Basketball, Shuffleboard, Tennis und Volleyball – rangen die Sportler um Ehre und Medaillen. Ältester Teilnehmer war Trent Lane aus Louisiana, 101 Jahre alt. Im Hammerwerfen erzielte er mit 11,32 Meter einen neuen Weltrekord in seiner Altersklasse 100+. In drei weiteren Wurfdisziplinen gewann er olympisches Gold. Lane hatte 1991 mit dem Wettkampfsport begonnen, mit 81. In den letzten Jahren war er nicht angetreten, weil er an den Folgen einer Sturzverletzung laborierte, die er sich beim Dachdecken zugezogen hatte.


Ohne sportliche Betätigung ist Altern eine Verlustgeschichte: Zwischen dem 20. und dem 70. Lebensjahr verliert der Mensch 20 bis 40 Prozent seiner Muskelmasse. Die Ausdauerleistung nimmt nach dem 30. Lebensjahr um bis zu 15 Prozent pro Jahrzehnt ab – wenn man nichts dagegensetzt. Für Charles Eugster, als Jugendlicher im Boxen, Rugby und Rudern aktiv, war der Sport zeitlebens ein wichtiger Begleiter. Allerdings habe er sich ab 40 ziemlich gehen lassen, bekannte er kürzlich in der britischen Tageszeitung „The Guardian“. „Meine Frau und ich verbrachten viel Zeit damit, nichts zu tun.“ Familie und Beruf schienen einfach keinen Freiraum für sportliche Aktivitäten zu lassen. Eine weit verbreitete Erfahrung im mittleren Lebensalter. Erst als Rentner finden viele wieder Muße und Zeit für körperliche Aktivität.

Eugster verabschiedete sich mit etwa 60 von seiner Rolle als „Couch Potato“, nachdem erhebliches Übergewicht und eine dicke Krampfader am Unterschenkel ihm „auf schockierende Weise“ seine Inaktivität vor Augen geführt hatten. Er fing wieder mit dem Rudern an, zog mehrmals in der Woche am Riemen. Bis zum 75. Geburtstag praktizierte er als Zahnarzt, bis 82 publizierte er ein Fachjournal. Hier könnte die Eugster-Story zu Ende sein: mit einem zufriedenen älteren Herrn, rüstig und geistreich.

Es kam anders. „Mit 85 hatte ich eine Krise. Ich sah in den Spiegel und erblickte einen alten Mann. Übergewicht, schreckliche Haltung, schlaffe Haut. Ich sah aus wie ein Wrack.“ Muss man sich mit diesem Schicksal abfinden? Niemals, entschied Eugster, schrieb sich in einem Fitness-Club ein, startete ein kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining, lernte Judo, um sich bei Stürzen besser abfangen zu können – und genoss die Blicke der Damen auf seinen zunehmend wohlproportionierten Körper.

Seiner Jugend wolle er nicht hinterherjagen, betont Eugster. Aber der Gesundheit. Dass er damit Recht hat, belegen zahlreiche Studien: Regelmäßiges Training schützt demnach vor Herzinfarkt und Schlaganfall, fördert den Stoffwechsel, hält den Geist länger fit, stärkt die Knochen, beugt Stürzen vor, sorgt für besseren Schlaf, vertreibt schlechte Laune und verlängert das Leben. Kein aktuell verfügbares Medikament der Welt hat eine derart umfassende Wirkung. Der Kölner Experte Dieter Leyk betont: „Ganz unabhängig vom Einstiegsalter: Wer anfängt, regelmäßig zu trainieren, wird von allen positiven Effekten, die Training auslösen kann, nach einer gewissen Zeit profitieren.“ Wichtig gerade bei Älteren ist allerdings: Lassen Sie sich von einem Arzt durchchecken, bevor Sie loslegen. Und gehen Sie es erstmal langsam an. Auch wenn Sie meinen, das Tier in Ihnen wecken zu müssen.

Und das ist gar nicht mal so unrealistisch. Professor Heinz Mechling, der 2006 an der Kölner Sporthochschule das Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie gründete, hat bei seinen Untersuchungen 90-Jährige beobachtet, die beim Krafttraining Leistungszuwächse von 150 Prozent erzielten. Viel wichtiger aber ist dieses Signal: Ich bin noch trainierbar. Drastischer formuliert es Charles Eugster. „Die Leute müssen eine Gehirnwäsche hinter sich haben, wenn sie denken, dass mit 65 alles vorbei ist. Für mich ist ein 65-Jähriger ein junger Mann!“